dunkle Erde erinnert tiefer |
Arbeitsbeschreibung Dezember 2023 zur Ausstellung im Kulturverein Saarbrücken-Burbach 2024
Bernd Janes |
Wege in den Wald...
Sollte ich meine Art und Weise künstlerisch zu arbeiten beschreiben, wie die Idee zu dieser Ausstellung entstand, wo sie ihren Ursprung hat, gibt es die schöne Imagination, die ich in dem Text des norwegischen Schriftstellers Jon Fosse fand, den er vortrug, anlässlich der Verleihung des Nobelpreises für Literatur im November 2023, abgedruckt im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung. Es ist ein Junge, der im Wald eine kleine Hütte baut, dann hineinkriecht und sich eine Kerze anzündet. Ein Bild, fantasiert von seinem Landsmann, dem Poeten Olav Hauge, der sich in seinem dichterischen Schaffen so erkennt. Und Fosse schließt sich an, findet sich im Zustand des Schreibens mit diesem Bild gut getroffen. Nun, warum soll man neue Bilder erfinden, wenn es bereits so treffende gibt und die, wie in meinem Fall, schon so authentisch erlebt wurden, alleine im Wald, im Dunkeln, in einem Meer von Stille, mit völlig angespannten Sinnen. Der Wald atmet aus: Die Zweige riechen feucht, hölzern, harzig, die Erde dumpf und pilzig. Das Hier und Jetzt leuchtet im Kerzenlicht. Der ganze Junge ist Sinn. Klamme, schwarze Finger graben sich durch weiche Materie – Erdhände. Dieses alleine Sein birgt ein so intensives Erleben im dunklen Erdraum mit dem gerade ausreichenden, kleinen Licht. Kein Sehen oder Hören lenkt ab von der Tiefe des Geruchs, der aus der Erde steigt. Baumerde, Blatterde, Nadelerde, Wurzelerde, mit den Händen in der Erde, mit der Erde arbeiten, erdig sein, geerdet werden - Wurzelbürstenzeit. An einen solchen Ort geht man nicht einfach, man wird gegangen, hineingezogen in einen experimentellen Zustand der Verdichtung, der Erdgeruchssättigung, in einen Raum der epistemologischen Verknüpfung. Der Atem der Welt schlägt wie eine Brandung über dem jungen Menschen zusammen und trägt ihn. In solchen Augenblicken verwandeln sich Materiemoleküle in Seelenmoleküle (Odysseas Elytis).
Überhaupt – enge, dunkle Räume, Erdlöcher, kleine Höhlen, Bunker, die man versäumt hatte zu verschließen; eine Rohrleitung, groß genug um durchzuklettern, dem Bach folgend, der plötzlich aus der Wiese verschwand, unter der Straße weiter lief, dem Jungen eine neue Welt öffnete, um dann lustig in die Blies zu plätschern; Kanaldeckel, abseits im kleinen Wäldchen, die leicht zu verschieben waren und eine Art von Unterwelt bedeckten; und dann insbesondere die nach dem Krieg mangelhaft zugeschobene Ruine eines zerbombten Veranstaltungshauses, dessen Kellerräume mit etwas Buddeln für interessierte Kinderbanden ideale Verstecke boten; Dunkelheit war keineswegs furchteinflößend, eher spannend.
Die Erde - der Lehm, der Ton, der Kalk – jeweils neu gemischt, nie wiederholt sich die Materialmischung. Pflanzen, besonders Blätter, schon längst ohne Grün, einen Winter der Witterung ausgesetzt, zeigen ihre Struktur. Aber in allen wohnt dieser Geruch des dunklen Grundes. Gerüche haben das längste und intensivste Erinnerungspotential. Blitzschnell öffnen sie mir längst vergangene Lebenssequenzen und Begegnungen. Manchmal führt das Suchen, Sammeln, Mischen und Aufstreichen von Erde und das Anordnen von Pflanzenteilen zurück in diese längst vergangene Zeiten. Komplexe Bilder füllen den Raum. Damals hieß es, du bist wieder voller Dreck - an den Händen, den Schuhen, den Kleidern. Und das hatte oft unangenehme Folgen - Wurzelbürstenzeit. Es hieß, es sei Dreck. Dreck war arm, asozial, schlecht. Man wollte wieder sauber sein für die neue Zeit. Waschpulverreklamefrauen versprachen ein reines Weiß. Aber es blieben dreckige Zeiten, aber auch solche, voller Erfahrungen mit Materie, mit Stofflichkeit, mit Natur, zusammen mit meinen Brüdern und Kindkumpanen (Gerhard Polt). Aus allem versuchten wir etwas zu bauen, besonders kleine Hütten. Einhüllen, umhüllen war angesagt, die Kinderseelen sehnten sich nach Schutz und Geborgenheit. Baustellen waren Abenteuerspielplätze. Spielzeug - was war das? Das, was wir irgendwo fanden und einstimmig meinten, das können wir gut gebrauchen. Wir lebten mit allen Konsequenzen in der Wirklichkeit, die Realität jedoch ist die Kastration der Wirklichkeit (Hans-Peter Dürr).
Ich weiß, wo ich Erde und Pflanzen finde, die ich brauche und verarbeite, damit sie mir entgegenleuchten und von damals erzählen, von den dunklen Farben zwischen den Fingern und der weichen, warmen Lage aus Blättern, auf denen wir uns geborgen fühlten. Vielleicht lebt meine Kunst ja insbesondere vom Erinnern, von den körperlich intensiven Momenten der Kindheit und vielleicht erinnert Körperlichkeit stärker und kann sie somit körperlicher umsetzen? Und vielleicht haftet die Erde der Kindheit noch an meinem Körper, ist eins mit mir geworden und ein Teil von mir wurde Erde? Dann aber dunkle Erde. Sie ist tief und still, schwer, mystisch – beständig.
Konsequenterweise bildet zunächst das Material den Grund meiner Arbeit. Im Prozess des Suchens und Sammelns, dann während ich mische, auftrage und anordne, entsteht eine Interaktion, die Materie gewinnt Handlungsmacht. Alles geht über die Hände.
Was ich versuche: Ich möchte diesen Eindrücken Bedeutung verleihen und mich dabei erinnern.
Im Herbst durch Blätterfall zu gehn,
bin ich gewohnt.
So wird es bleiben.
Johannes Kühn
aus: Dir schenkte ich viele Monde