Zur Ausstellung in der Klosterkirche Hornbach 2018 |
'und in der Erde schläft die Zeit'
Einführungsrede von Dr. Verena Paul |
Guten Morgen meine sehr geehrten Damen und Herren.
Und in der Erde schläft die Zeit. Dieser leichtfüßig daherkommende und doch so gedankenreiche Satz führt uns in die Tiefen einer reflektierten künstlerischen Auseinandersetzung mit Natur und Landschaft der hiesigen Region. Denn Bernd Janes erkundet seine Umgebung mit aufmerksamem, neugierigem Blick und wird dabei der sublimen Verbindung von Zeit und Materie gewahr. Seine primär verwendeten Materialien sind offenkundig: Lehm, Holz, Pflanzenrelikte und Metall. Welche Rolle dem Faktor Zeit zukommt? Sie ist einerseits in die Erde eingespeist, verwächst jeden Tag aufs Neue mit ihr und indem der Künstler in seinen Objekten diesen Prozess des Schichtens mit dem Naturstoff Lehm wiederholt, materialisiert er Vergänglichkeit. Andererseits zeugen die von ihm eingearbeiteten Bleielemente von verstrichenem Leben, vom Gebrauch an anderer Stelle, kurz: sie führen uns die Spuren der Zeit im Alltag vor Augen.
Doch lassen Sie uns den Streifzug durch die Ausstellung mit den beiden auf schmalen Holzpodesten positionierten Werken im Eingangsbereich der Klosterkirche Hornbach beginnen. Während wir zur Linken auf feingliedrige, verdorrte Halme blicken, deren tänzerischer Leichtigkeit durch Fixierung in der Holzplatte Einhalt geboten wird, begegnet uns auf dem rechten Podest ein auf vier kleinen schwarzen Rundelementen thronender Betonwürfel. Sein grauer Sockel zeigt Muster, die sich dem Material im Prozess des Gießens eingeprägt haben. Im oberen Teil des Würfels wird der Beton hingegen von aufgeschnittenen Rapsstängeln verdeckt, indem sie ihn vertikal umgürten. Beiden Raumobjekten wohnt Zeit inne: ob in den getrockneten, der Erde entsprungenen Rapsstängeln und Halmen, deren tote Blättchen bei Berührung zu zerbrechen drohen, oder im Beton, der seine Entstehungsgeschichte dokumentiert und die Zeit eingefroren zu haben scheint.
Am Kirchenportal, nur wenige Schritte hinter diesen Arbeiten, haben zwei aus Buchenholz bestehende Plastiken Platz gefunden. Sie geben in ihrer Formensprache den wohl deutlichsten Hinweis auf die Einverleibung zerfließender Zeit. Ursprünglich in industriellen Kontexten genutzt und gebogen von den Lasten, die sie einst tragen mussten, arbeitete Bernd Janes in regelmäßigen Abständen Kerben ein und befestigte die länglichen Holzelemente schließlich auf Metallplatten. Durch die sanften Biegungen sowie die Einkerbungen erinnern die Werke an fragmentierte Zahnräder eines großen Uhrwerks. Greifen wir diese Assoziation auf, so floss die Zeit nicht nur durch die hölzernen Zahnräder hindurch, sondern sie waren auch Impulsgeber für zeitliches Voranschreiten. Inzwischen ist der Kreislauf einer rast- und ruhelosen Welt unterbrochen und die Buchenhölzer öffnen den Blick auf die Arbeiten, die sich in der Klosterkirche verteilen.
Den neun großformatigen Wandobjekten, stilistisch in zwei Gruppen aufgeteilt, ist das Arbeitsmaterial Lehm gemeinsam. Er wurde behutsam in vielen dünnen Schichten auf Holzrahmen aufgetragen, sodass ein homogener Bildgrund entstand und der Facettenreichtum des Bliesgauer Erdkolorits deutlich wird. Die Farbigkeit ist naturbelassen, nur Holzasche dient der partiellen Verdunkelung. Es ist frappant, wie harmonisch sich die Werke in den Kirchenraum integrieren und erst nach und nach zu erkennen geben, dass sie einem anderen Bereich entstammen.
In der fünfteiligen Serie Archetypen, die sich an den Wänden rund um die Empore befindet, wurden in die Lehmschichten poröse Bleiplatten inkorporiert. In jener Begegnung von Erde und Metall verschmilzt die kraftvolle Ursprünglichkeit des Lehms mit der spröden, morbid anmutenden Textur des Bleis. Aus der so entstandenen Verbindung entwickelt sich ein subtiles Eigenleben, indem biomorphe Formen auf geometrische Gefüge treffen und sich das Abstrakte im Gegenständlichen oder Figuralen auflöst. Dergestalt mäandert das Metall über den Lehm, verwandelt sich in Fragmente von Gebäuden, in angedeutete Pflanzenteile und bizarre Gestalten, die auseinanderdriften oder sich wiederfinden.
In der zweiten Werkreihe, gehängt an den Längswänden des Hauptraumes, dominieren Pflanzenrelikte: eingedorrte Sonnenblumen oder mittig aufgetrennte Rapshalme, die in ihrer additiven Zusammensetzung ein überraschend lebendiges Formenspiel auf dem Lehmgrund ergeben. Doch in dem vom Winter zermürbten, von Holzkohle eingeschwärzten Pflanzenmaterial sowie im krakelierten Lehm schläft die Zeit. Ohne innezuhalten schreitet sie voran, waltet über Werden und Vergehen – sie hat sich allen Erdschichten und insofern auch den Arbeiten von Bernd Janes eingeschrieben.
Besonders deutlich macht der Künstler diese Verwobenheit von Zeit und Erde in den sieben Stampflehmkörpern und den ihnen zur Seite gestellten sieben Lehmtafeln. Die Farbpalette der lehmigen Muschelkalkerde des Bliesgaus reicht von einem milchigen Weißton, über matte Ocker- und Brauntöne bis hin zu einem sanften Olivgrün. Da jedem Kubus eine Tafel zugeordnet ist, werden die kraftvoll gestampften, rissigen Lehmobjekte und das dynamisch auf die Holzplatte gespachtelte Material „entschleunigt“ und sie finden in sich Ruhe. Die Außenseiten der Würfel, die Steine und Pflanzenrelikte zu erkennen geben, sind durch den Entzug des Wassers leicht deformiert und es scheint, als wollten sich Würfel und Tafeln (mit ihrer zerklüfteten Oberfläche) in die Welt des Schlummerns zurückziehen.
Bernd Janes‘ Wahl der Zahl sieben ist zudem kein Zufall. In verschiedenen Epochen, Kulturen und in den Weltreligionen wird dieser Zahl eine besondere Bedeutung beigemessen. Die christliche Zahlensymbolik etwa sieht darin die Verbindung der Seele mit den vier Elementen. Das Immaterielle fügt sich mit dem Materiellen zusammen – bei Bernd Janes sind es Zeit und Erde. In der Gruppierung um den Altar der Klosterkirche bilden die Arbeiten das Zentrum der Ausstellung: Sie sind eine Ode an die Zeit, geschrieben in vollendeter Prosa an eine Landschaft, die wir Tag für Tag vor Augen haben. Allerdings nehmen wir selten diese Erscheinungen der Natur wahr, lassen sie vielmehr achtlos an uns vorbeigleiten. In ihrer Ästhetik sind es gerade diese Raumobjekte, die uns mit ihrer geheimnisvoll natürlichen Farbsprache und dem klaren Formgestus an den Verlust unserer Bodenhaftung erinnern. Denn, so ermuntert uns auch Hilde Domin in ihrem Gedicht Ziehende Landschaft:
"Man muß weggehen können
und doch sein wie ein Baum:
als bliebe die Wurzel im Boden,
als zöge die Landschaft und wir ständen fest."
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine spannende, nachdenklich stimmende und nicht zuletzt bereichernde Begegnung mit den Werken von Bernd Janes.
Dr. Verena Paul