Wurzelbürstenkind |
Wie finde ich zur Kunst
Arbeitsbeschreibung Dezember 2023
Bernd Janes |
Und wenn ich meine Art und Weise künstlerisch zu arbeiten beschreiben wollte, oder wie sie entstand, ich meine, wo sie vielleicht ihren Ursprung hat, gibt es ein schönes Bild, das ich im Text des Norwegers Jon Fosse fand, den er vortrug, anlässlich seiner Verleihung des Nobelpreises für Literatur im November 2023, abgedruckt im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung. Für ihn war es der Junge, der im Wald eine kleine Hütte baut, dann hineinkriecht und sich eine Kerze anzündet. Ein Bild, gezeichnet von dem Poeten Olav Hauge, der sich in seinem dichterischen Schaffen so erkennt. Und Fosse schließt sich an, findet sich im Zustand des Schreibens mit diesem Bild gut getroffen. Nun, warum soll man neue Bilder erfinden, wenn es bereits so treffende gibt, und die, wie in meinem Fall, schon so authentisch erlebt wurden, alleine im Wald, im Dunkeln, in einem Meer von Stille, mit völlig angespannten Sinnen. Der Wald atmet aus: die Zweige riechen nass, hölzern, harzig, die Erde dumpf und pilzig. Das Hier und Jetzt leuchtet im Kerzenlicht. Der ganze Junge ist Sinn. Die Hände schwarz vom Graben – Erdhände. Dieses alleine Sein birgt ein so intensives Erleben im dunklen Erdraum mit dem gerade ausreichenden, kleinen Licht. Kein Sehen oder Hören lenkt ab von der Tiefe des Geruchs, der aus der Erde steigt. Baumerde, Blatterde, Nadelerde, Wurzelerde. Mit den Händen in der Erde, mit der Erde arbeiten, erdig sein, geerdet werden. Wurzelbürstenkind. An einen solchen Ort geht man nicht einfach, man wird gegangen, hineingezogen in einen experimentellen Zustand der Verdichtung, der Erdgeruchssättigung, einen Raum der Verknüpfung. Der Atem der Welt schlägt wie eine Brandung über dem jungen Menschen zusammen. In solchen Augenblicken verwandeln sich Materiemoleküle in Seelenmoleküle.
Die Erde - der Lehm, der Ton, der Kalk, die Pflanzen - jeweils neu gemischt, nie wiederholt sich die Materialmischung. Aber in allen wohnt der Grund, dieser Geruch. Gerüche haben das längste Erinnerungspotential. Manchmal führt das Suchen, Sammeln, Mischen und Aufstreichen erdiger Materie zurück in längst vergangene Zeiten. Dann entstehen Bilder der Sättigung aus Erde und Pflanzen. Damals hieß es, du bist voller Dreck - an den Händen, den Schuhen, den Kleidern. Und das hatte oft unangenehme Folgen. Wurzelbürstenkind. Dreck war arm, asozial, schlecht - man wollte wieder sauber sein für die neue Zeit. Waschpulverreklamefrauen versprachen ein reines Weiß! Aber es blieben dreckige Zeiten, aber auch solche, voller Erfahrungen mit Materie, mit Stofflichkeit, zusammen mit Brüdern und ‚Kindkumpanen‘ (den Ausdruck habe ich Gerhard Polt geklaut). Aus allem versuchten wir etwas zu bauen, besonders kleine Hütten. Einhüllen, umhüllen war angesagt, die Kinderseelen sehnten sich nach Schutz und Geborgenheit. Baustellen waren Abenteuerspielplätze. Spielzeug - was war das? Das, was wir irgendwo fanden und einstimmig meinten, das können wir gut gebrauchen. Wir lebten in der Wirklichkeit (Hans Peter Dürr), heute sind wir in der Realität angekommen.
Ich weiß, wo ich meine Erde finde, die ich brauche und verarbeite, damit sie mir entgegenleuchtet und von damals erzählt. Von den dunklen Farben zwischen den Fingern und der weichen, warmen Lage aus Blättern, auf denen man ausruhen konnte. Vielleicht lebt meine Kunst ja insbesondere vom Erinnern, von den körperlich intensiven Momenten der Kindheit und vielleicht erinnert Körperlichkeit stärker und kann sie somit körperlicher umsetzen? Und vielleicht haftet die Erde der Kindheit noch an meinem Körper, ist eins mit mir geworden und ein Teil von mir wurde Erde?
Was ich versuche: Ich möchte diesen Eindrücken Bedeutung verleihen und mich dabei erinnern.