Zur Ausstellung 'Ordnung im Licht' |
Prof. Dr. Bernd Lindemann I Rede zur Eröffnung der Ausstellung von Bernd Janes am 11.11.2008 in der prot. Stadtkirche Homburg |
Liebe Gäste, meine Damen und Herren!
Unser ausstellender Künstler, Bernd Janes, hat das heutige Ereignis sehr sorgfältig vorbereitet. Bis auf eine Ausnahme. Ein gänzlich Fach-Fremder wurde ausersehen, die Einführung zu halten. Ich bin ja weder Kunstexperte noch – Botaniker... Also, es ist mir eine Ehre aber erwarten Sie keine Gelehrsamkeiten.
(1) Bernd Janes hat eine interessante Biographie. Er war für lange Zeit bei der Polizei, 33 Jahre lang diente er im grünen Rock. So hatte er reichlich Gelegenheit, das menschliche Leben aus wechselnden Perspektiven kennen zu lernen. Neben dem Dienst bildete er sich weiter. Er nahm an Architekturprojekten Teil und erhielt schon 1996, noch vor seinem Studium, den Saarländischen Staatspreis für Architektur und Ökologie. Drei Jahre später erhielt er denselben Preis noch einmal. Hierdurch ermutigt, studierte er in der Schweiz Baubiologie / Ökologie und später in Bonn Architektur. 2005 wurde er Diplomingenieur für Architektur. Seit 2002 arbeitet er künstlerisch mit Naturmaterialien. Er betreibt ein Atelier in der Mainzer Straße.
(2) Doch nun zu unserer heutigen Ausstellung: Sie haben sich ja schon umgesehen. Wir sehen einige Skulpturen wie hier links die ausdrucksvollen fünf Objekte, ich nenne sie insgeheim die Bürger von Calais. Doch der größte Teil der ausgestellten Arbeiten sind Kollagen.
Diese Arbeiten thematisieren dezidiert nicht die Probleme unserer Zeit. Hier wird nicht die Geschichte aufgearbeitet, hier werden keine sozialen Verhältnisse angeprangert, auch die Börsennachrichten kommen nicht vor – kein Weh und Ach. Was man statt dessen wahrnimmt, ist wohltuende Ruhe. Eine unaufgeregte, beschauliche Haltung. Eine Haltung die uns sagen möchte: es gibt doch was Besseres! (Mit Matthias Claudius): „Es gibt was Bess'res auf der Welt - als all ihr Weh und Ach.“ Und was ist dieses Bessere? Wir müssen die Natur mit neuen Augen sehen. Ihre besondere Ordnung begreifen und bewahren.
Die Natur erscheint bei Bernd Janes in dem schlichten Gewand alltägliche Materialien. Vertrocknete Halme, abgeworfene Blätter. Es sind zeitlose Materialien. Wir sehen zerbrechliche Strukturen auf schweren Holzplatten. Mit ihrer Hilfe dargestellt wird die Unregelmäßigkeit des Gleichen: Alles Zweige von einem Baum, doch jeder Zweig etwas anders. Die Ordnung in der Natur und die Variabilität. - Ordnung wo sie nützlich ist, aber keine Gleichschaltung aus Prinzip.
Durch die Vervielfältigung der Einzelnen, seien es Blätter oder Rindenstücke, können wir die Quersumme bilden. Sie sind gleich und doch wieder nicht gleich...
Man hat mir die Namen von Künstlern genannt, die auch so oder so ähnlich arbeiten. Es sind herman de vries, chris drury, nikolaus lang, richard long, giuseppe penone. Doch Bernd ist nicht ausgezogen, um de Vries und die anderen nachzuahmen. Er kannte sie noch nicht, als er sich vor fünf Jahren auf seinen künstlerischen Weg machte...
(3) Wir müssen weiter ausholen, um der Zeitlosigkeit seiner Zweig- und Grashalm-Kunst gerecht zu werden. Denn die Ursprünge – soviel ist mir klar geworden - liegen weit zurück. Die vorgeschichtliche Zeit fällt uns ein, die Zeit der Höhlenmalerei von Altamira und Lascaux. Diese Malerei ist freilich ganz anders. Tiere finden wir dort dargestellt, mit der Jagd hat es zu tun. Mit Sieg, Blut und Tod, - mit Weh und Ach. Vor 30,000 Jahren war die darstellende Kunst der Jäger schon weit entwickelt, ihre Anfänge müssen noch viel älter sein - sagen die Lehrbücher.
Doch Moment mal, sie waren doch Jäger und Sammler. Und da wir mit Joseph Beuys wissen, dass jeder ein Künstler ist, müssen auch die Sammler sich künstlerisch betätigt haben. Betrachten ich nun die Werke, die uns heute beschäftigen, so kommt mir folgende Idee: Nicht die Steinmalerei der Jäger war der Anfang, sondern den Anfang machten die Sammler!
Sie sammelten Zweige und Halme wie Bernd Janes heute noch. Wenn der Tag lang war, ordneten sie die Halme in verschiedenen Mustern. Es schien ein spielerisches, ein nutzloses Beginnen. Nutzlos zwar, aber mit Folgen. Ich erinnere an Oscar Wilde: „All art is useless.“
Sie verglichen, staunten, wählten, freuten sich. Sie legten den Kopf schief. Sie wunderten sich. Doch sie übten sich dabei im Zählen, unsere Ahnen, und im Unterscheiden. Und vielleicht begannen sie etwas zu ahnen von der ästhetischen Dimension des menschlichen Geistes.
So war es - oder so könnte es gewesen sein. (Ich sehe, dass Sie mein Augenzwinkern bemerkt haben.) Und wir wissen ja seit Maria Montessori, dass unsere 2-3-jährigen Kinder dasselbe tun. Das wäre dann die ontogenetische Rekapitulation der Phylogenese.
So halte ich es nun für denkbar, ja für wahrscheinlich oder vielmehr für fast sicher, dass Janes mit seinen Werken eine Tradition fortsetzt, dass uns seine Kunst deshalb berührt, weil etwas davon vielleicht in der Geschichte unserer sammelnde Vorfahren, sicher aber in unserer eigenen Kindheit verankert ist.
(4) Und etwas anderes möchte ich noch sagen. Betrachten wir zusammen so eine Arbeit, etwa ein Ensemble von Blättern. Alle vom gleichen Baum, alle gleich und doch – jedes ein wenig anders, jedes unverwechselbar auch etwas Besonderes. Eine Sammlung, eine Versammlung, und sie versammelt uns. Man kann darüber meditieren, wie über Zen-Bildern. Es sind Zen-Bilder.
In historischer Zeit, im 13. Jh., lebte in China ein Zen-Meister namens Mu'chi. Er war ein Maler und ihm wird das wohl berühmteste Zen-Bild zugeschrieben, „Die sechs Persimonen“. Das Bild hängt heute in einem Kloster in Kioto.
Auf dem Bild liegen sie in einer Reihe, die 6 Persimonen, nur die dritte ist etwas vorgerückt. Eine Versammlung von apfelgroßen Früchten. Verschieden in Farbe und Muster, doch alle auch gleich als Persimonen. - So wie die Menschen verschieden sind nach der Hautfarbe, nach der Größe - und doch alle Menschen sind.
Die Persimonen bedeuten Menschen. Unbewusst identifizieren wir uns mit den Persimonen, sie bedeuten Menschen. Und nun sehen wir auch die Halme und Zweige mit neuen Augen. Nehmen Sie z.B hier links das Bild mit den Kastanienknospen. Die Zweige haben am oberen Ende „kopfartige“ Auftreibungen, sie kommen uns vor wie eine Reihe von Menschen, jeder ein wenig anders gestikulierend, aber die Köpfe alle in gleicher Höhe. Unbewusst identifizieren wir uns. Das mag der Grund sein, warum gerade diese Kollage mit den Kastanienzweigen beim Publikum so beliebt ist.
Um dem Herrn Pfarrer Höhn, unsrem freundlichen und großzügigen Gastgeber, ein Freude zu bereiten, zitiere ich Psalm 103, Vers 15: „Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blühet wie eine Blume auf dem Felde; - wenn der Wind darüber geht so ist sie nimmer da....“
Nun ist es ganz klar geworden: Die Zweige, die Halme sind - unsere mit-kreatürlichen Geschwister. Frei nach François Villon: „Es ist kein Halm, kein Blatt so klein, das nicht von dir ein Bruder könnte sein.“ Sie sind ja die Überreste von Lebewesen und sie sagen uns etwas über ihr Leben, über das Leben. Und weil sie uns etwas sagen, sammeln wir sie.
(5) Und noch etwas möchte ich anfügen. Wenn man das Ähnliche zusammen bringt, entsteht ein übergeordnetes Muster. So wie die Menschen zusammen eine Gesellschaft bilden. Durch den Zusammenschluss entsteht etwas Neues. In der Philosophie spricht man von der Emergenz neuer Eigenschaften. Die Gemeinsamkeit schafft, die Gemeinschaft ist - ein neues, größeres Ganzes.
Und damit spielt Bernd Janes:
das Individuelle,
die Variabilität,
die Versammlung,
das größere Ganze,
die Ordnung,
die Natur,
das sind seine Themen.
Kunst, also, diese Kunst, kommt von sammeln, von versammeln, kommt von den Sammlern. Sammeln heißt bewahren. -
Also gehen wir nun zu den Exponaten, sammeln wir Eindrücke. Und wenn wir etwas Geld übrig haben, dürfen wir auch eines der Bildnisse mit nach Hause nehmen, für unsere - Sammlung...
Es folgen nun einige Worte von Bernd Janes selbst. Danach wünsche ich Ihnen eine besinnliche Zeit bei Ihrem Rundgang vor den Kollagen!
Danke sehr.
Oscar Wilde: ‘We can forgive a man for making a useful thing, as long as he does not admire it. The only excuse for making a useless thing is that one admires it immensely. All art is useless.’